Guten Abend, meine Damen und Herren.
Genau heute, vor einem Jahr, am 08.11.2000, wurde in Deutschland Gesetz, die generelle Ächtung der Anwendung körperlicher Gewalt in der Erziehung.
Erst seit etwa 30 Jahren ist bei uns in Großbritannien erst seit etwa drei Jahren die körperliche Züchtigung in den Schulen gesetzlich verboten.
Seit etwa zwei Jahren in Deutschland auch in den Familien.
Das Ende, oder ich sollte lieber sagen das Soll-Ende einer unendlich langen Tradition und Gewohnheit im Umgang zwischen Erwachsenen und ihrem Nachwuchs, ist damit legislativ markiert.
Im klassischen Griechenland, wir haben hier eine Darstellung aus dem vierten vor christlichen Jahrhundert. Die Mutter schlägt das Kind.
Und weil es wohl zu umständlich ist, extra einen Stock oder etwas ähnliches herbeizuholen, nimmt sie einfach ihre Sandale, zieht sie aus und benutzt sie als Erziehungsmittel.
Und bei dem deutlich sichtbaren Widerstreben des Kindes bin ich sicher, dass es sich bei der Szene nicht um etwas Neckisches oder Scherzhaftes handelt.
Die Darstellung, die Sie jetzt sehen, stammt aus einer römischen Schule des ersten Jahrhunderts nach der Zeitwende.
Das ist eine Darstellung aus Pompeji. Sie sehen ein richtiges Arrangement der Prügelstrafe.
Ein Schüler muss den zu bestrafenden Schüler schultern. Ein zweiter hält seine Beine fest.
Und so wird der nackte Rücken und das nackte Gesäß dieses Schülers der Route des Lehrers dargeboten.
Schuldarstellungen des Mittelalters und der Neuzeit zeigen Route und Stock geradezu als Insignien des Lehramtes.
Wenn ein Lehrer dargestellt werden soll, wird er berufsmäßig durch den Stock oder die Route, die er in der Hand hält, bezeichnet.
Aber auch wenn wir spunzen, auch wenn dies oft karikatoresk ist, es ist harteste, brutalste Wirklichkeit.
Ich zeige Ihnen hier in einer südafrikanischen Sammlung Prügelinstrumente frühes 20. Jahrhundert.
Ich komme zurück auf ein Ereignis im 18. Jahrhundert.
Es hat es im Schwäbischen einen Schulmeister gegeben, der die Marotte hatte, über alle seine Erziehungsmaßnahmen pedantisch Buch zu führen.
Das ist dann bekannt geworden. Dieser hieß Heuberle, merkwürdigerweise.
Dieser Heuberle brachte es im Zuge eines ganzen Lehrerlebens auf 911.527 Stockhiebe und auf 124.010 Rutenschläge.
Die Zahl der Kopfnüsse geht in die Millionen und auch die Zahl der mit Vorliebe mit Gesangbuch oder Kartechismus auszuteilenden Notabene dürfte auch die Millionengrenze überschritten haben.
Im Jahr 1780 wurde diese Liste in der Dezauer Zeitschrift Pädagogische Unterhandlungen veröffentlicht und es ging ein Gelächter durch die ganze pädagogische Welt.
Woher dieses Gelächter?
Was hier deutlich wird, ist die Diskrepanz zwischen dem pädagogischen Bewusstsein auf der einen Seite und der Schulwirklichkeit auf der anderen Seite.
Diese Diskrepanz, meine Damen und Herren, existiert seit Beginn der neuzeitlichen Pädagogik.
Sie gehört zu den kennzeichnenden Merkmalen des modernen pädagogischen Denkens notwendigerweise dazu.
Diese neuzeitliche moderne Pädagogik entstand im 15. Jahrhundert vor 500 Jahren im Rahmen des italienischen Renaissancehumanismus.
Und seitdem ist es so, die Kritik der Körperstrafe ist eines der zentralen Paradigmata des modernen pädagogischen Denkens.
Und trotzdem die ganz anders geartete Wirklichkeit.
Wissenschaftlich entstehen aus diesem Sachverhalt drei grundsätzliche Fragen.
Nicht etwa die Frage, ob die Körperstrafe etwas Gutes oder ein vielleicht unter Bedingungen notwendiges Übel sei.
Das ist eine Frage, die ist seit 500 Jahren entschieden.
Die ist obsolet.
Aber zu Fragen haben wir erstens nach dem Hintergrund und Anlass der Entstehung dieser Kritik an der Körperstrafe.
Und das ist zugleich die Frage nach Hintergrund und Anlass der Entstehung des modernen Erziehungsdenkens überhaupt.
Zweite Frage, warum denn nun wirklich trotz dieser Kritik, trotz der wachsenden Bewusstheit der alte Zustand angedauert hat?
Und möglicherweise ja auch noch andauert.
Und die dritte Frage, wie hat sich die moderne Pädagogik mit dem Problem der Körperstrafe, deren wirkliche Existenz ja nicht zu leugnen war,
argumentativ auseinandergesetzt?
Ich will mich bemühen, meine Damen und Herren, diese drei Fragen zu beantworten.
Frage eins.
Das moderne pädagogische Denken entstand in einem engen zeitlichen, räumlichen und sozialen Rahmen.
Der zeitliche Rahmen, erste Hälfte des 15. Jahrhunderts, der räumliche Rahmen Oberitalien und der soziale Rahmen, die Adelserziehung.
Also ein kleiner Gesellschaftsausschnitt.
Und zwar jetzt der moderne Adel, der Hof- und Dienstadel an den vielen Höfen Oberitaliens.
Und in diesem sozialen Kontext kommt eine neue Struktur, eine neue soziale Struktur des Erziehungsvorgangs in Gebrauch.
Der junge Nachwuchs des Hof- und Dienstadels musste umfassend gebildet werden.
Denn auf ihn kamen an den Höfen die vielfältigsten Aufgaben zu.
In der Diplomatie, in der Kriegführung, in der Politik, in der Ökonomie, in der Fortifikation und anderen architektonischen Bereichen.
Das heißt man brauchte umfassend und modern gebildete Menschen.
Presenters
Prof. Dr. Wolfgang Sünkel
Zugänglich über
Offener Zugang
Dauer
00:28:14 Min
Aufnahmedatum
2001-11-08
Hochgeladen am
2018-06-21 11:20:22
Sprache
de-DE